Donnerstag, 19. September 2013

Zum letzten Mal FKK

Er lächelte. Alles war doch noch wie in den Jahren zuvor – was er nur gehabt hatte! „Wasserschutzgebiet“. Dasselbe rechteckige Hinweisschild wie eh und je und daneben das dreieckige mit der Eule „Landschaftsschutzgebiet“. Nichts deutete darauf hin, dass hier inzwischen die Außenstation eines biologischen Forschungsinstituts eröffnet haben sollte. Im lokalen Werbeblättchen war dazu ein kleiner Artikel erschienen. Es wurde vor dem wilden Baden im Testsee gewarnt. Man erprobe neuartige Methoden der Sauberhaltung des Wasserbiotops. Biologische. Solche, bei denen alle Stoffe, die komplizierter als H2O waren, radikal und schnell abgebaut würden. Klar. Zu Beginn jeder Saison wurden Storys verbreitet, die den Einsatz von Ordnungskräften gegen die Wildbader von vornherein unnötig machen sollten. Natürlich vergeblich.
Hinter Reinhard ruhte die Reihe der parkenden Autos am Straßenrand. Eindeutig zu viele, als dass sie alle den Anwohnern gehören konnten. Schnell rüber über die Marienstraße. Nun ging es nur noch den schmalen Pfad weiter. Wenn Reinhard jetzt eine Familie im Gänsemarsch oder Radfahrer entgegengekommen wären, hätte er auf den Wiesenrand ausweichen müssen. Es kam aber niemand. Dafür stieß er auf den Hauptweg und der tauchte in ein strauch- und baumkronenüberschattetes Wegstück ein. Man musste schon wissen, wohin man wollte. Er wusste es. Nun kam die nächste Gabelung. Rechts die Strandecke für die Ghetto-Nackten, links der freie Strandabschnitt, an dem sich Nackte und Textilierte relativ harmonisch mischten. Vielleicht die Bekleideten eher weiter hinten, zur Insel hin.
Reinhard wählte den linken Pfad. Das hatte einen Nachteil: Er ging direkt auf den Müllpunkt zu.
Der Müllpunkt war ein typisches Produkt deutscher Bürokratie. Natürlich durfte es an dem See keine Badestelle geben. Wo keine war, konnte es aber auch keine sanitären Einrichtungen, Müllsammelplätze und ähnliche dazu gehörende Dinge geben. Andererseits gab es diese Badestelle seit Jahrzehnten. Richtiger: Es wurde rund um den gesamten See gelagert, um zu baden, nur an dieser Stelle eben geballt. Also hatte irgendwann einmal jemand am Beginn dieses Strandes, der kein Badestrand sein durfte, eine Stange eingepflanzt und an dieser Stange einen großen blauen Plastiksack befestigt. So hätte „man“ dort seinen Müll hineinstopfen können.
Der Sack wurde jeweils Anfang des Jahres ausgetauscht. Reinhard kannte den Platz um den Müllsack nur in immer gleichem Zustand: Etwa im Umkreis von zwei Metern lagen Joghurtbecher und Reste vergangener Zeiten so sorgsam verstreut, als hätten Wildschweine die Hoffnung auf Fressbares zu spät aufgegeben. Vielleicht sollte dieser Anblick die eintreffenden Badelustigen von ihrem Vorhaben abhalten. Schon lange gingen die aber mit galantem Wegseh-Blick daran vorüber. Natürlich auch Reinhard. Diesmal aber hatte der blaue Sack einen Bruder bekommen, und jemand hatte sehr sorgfältig allen herumliegenden Müll beseitigt. Jedenfalls war kein einziges Teil zu sehen, das nicht natürlich gewachsen wäre. Badende waren allerdings so viele am Rand des Sees verstreut wie in den Jahren zuvor.

Reinhard fand es gut. Endlich kümmerte man sich um das Wohlbefinden der Badegäste. Er entledigte sich seiner Kleidung. Achtlos platzierte er sie neben der ausgebreiteten Decke und den Schuhen. Noch ein Kontrollblick: Es waren keine Hirsche in unmittelbarer Nähe. ...

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