Donnerstag, 19. September 2013

Sicher im Zoo

Zu ihrem 18. Geburtstag wünschten sie sich eine Schönheitsoperation. Wochenlang bearbeiteten sie ihre Eltern: Moderne Mädchen müssten einen perfekten Körper haben, vor allem einen eindrucksvollen Busen. In einer Zeitschrift hatten sie sogar einen Artikel gefunden, der ihre Behauptung wissenschaftlich-statistisch untermauerte. Zwischen Busengröße und -form von jungen Frauen und ihren Arbeitsmarktaussichten bestünde eine Korrelation … oder wie das hieß. Dies erkläre ihre bisher erfolglos gebliebenen Bewerbungsgespräche!
Das Argument, so leichter Männer zu finden, hatten Sally und Luise schon vorher aufgeben müssen. „Wenn er dich wirklich liebt, dann nimmt er dich auch so.“ Das hatten beide Mütter unisono geantwortet. Der Tochter, deren Brüste übermächtig schwer waren, und der, die ihre BHs mit Kissen und Einlagen ausstopfte.
Ja, wäre es um den fünfzehnten Geburtstag gegangen! Da hätte sich die Story von der parallelen Brustvergrößerung beziehungsweise –verkleinerung an die Medien verkaufen lassen. Vielleicht wäre nach den Operationen vom Erlös sogar noch etwas übrig geblieben. So aber lag die veranschlagte Kostensumme weit außerhalb der elterlichen wie die gewünschte Körperform außerhalb der jugendlichen Möglichkeiten. Sally und Luise mit ihren achtzehn Jahren waren einfach zu alt. Ihnen blieb nur der Weg zum Psychotherapeuten.
Sie müssen lernen sich anzunehmen. Und das können Sie, wenn Sie von anderen angenommen werden. Unternehmen Sie etwas, um mit Ihrem Körper klar zu kommen – in der Form, die er nun einmal hat …“
Dr. Schilly gelang es, die beiden umzustimmen. Nicht vor einem heimlichen Vertrauten, nein, unheimlich öffentlich würden sie die Makel ihrer Körperlichkeit preisgeben. Das würde ihr Selbstvertrauen festigen und damit ihr Selbstwertgefühl enorm steigern.
Schilly besaß ein bedeutendes Aktienpaket an „tele 007“. So war er frühzeitig über das „Zoo“-Projekt informiert, gehörte zur Jury, die die Kandidaten auswählte. Ruhig erläuterte er den Mädchen die Regeln des Dauerspiels: „Haben Sie schon einmal bekleidete Zootiere gesehen? … Sehen Sie! Absolute Nacktheit und Offenheit ist da die Norm.
Unsere „Zoo“-Kandidaten überschreiben den Veranstaltern die Ansprüche aus der Verwertung des Filmmaterials. Sie verzichten auf Freiraum innerhalb des Zoogeländes, dürfen dort aus beliebiger Position und zu jedem Zeitpunkt gefilmt werden. Sie verpflichten sich, keine zeugungsbeeinflussenden Mittel zu verwenden. Dafür nehmen sie aktiv am Wettbewerb um das Paar mit dem ersten im Zoo gezeugten Baby teil. Den Eltern dieses Babys sind nach Verlassen des Zoos Arbeitsplätze nach freier Wahl zum doppelten Durchschnittsgehalt garantiert. Jede Schwangerschaft wird mit einer lebenslangen Rente belohnt. Aber Sie brauchen natürlich nicht schwanger zu werden, wenn Sie keinen geeigneten Partner finden. Ich hielte das nur für eine besondere Chance für Sie.“
Wochen vor Eröffnung waren die Tageskarten für Gelegenheitsbesucher bereits ausverkauft gewesen. Jetzt regulierte ein Dutzend Ordner den Fußgängerverkehr auf den verglasten Zuschauerwegen, die bekleidet benutzt werden durften.

Das 007-Wettbüro nahm Wetten auf die ersten Schwangerschaften, Entbindungen und natürlich das Siegerpaar entgegen. Anfangs war alles sehr übersichtlich, denn als Startbesatzung waren nur Männer zugelassen, sämtliche Paare fanden also unter Beobachtung des Vor-Ort- und Fernsehpublikums zusammen, und die Namen der hinzugewählten Mädchen wurden schnell bekannt. Die Fans versuchten, bei der „Wette der Woche“ zu erraten, auf welchen Körperteil welchen Teilnehmers der Name welcher Firma aufgedruckt würde. Das wurde öffentlich ausgelost. An Werbung interessierte Firmen bezahlten die Lose, die täglich in die Firmentrommel kamen. Das Konzept von „tele 007“ ging auf. Der Sender war die Schlagzeile schlechthin. ...

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