Erinnerung?
Nein. Eine Katastrophe? Ja. Blitze ... Bilder ohne Davor und Danach.
Fürs Logbuch nicht verwendbar. Zu viele Lücken. Ich kann sie nicht
füllen.
Sollten
irgendwann Menschen nach Spuren unseres Untergangs auf diesem
Planeten suchen, dann finden sie hoffentlich die Trümmer des
Raumschiffs. Wenn sie die untersuchen, werden sie hoffentlich
rekonstruieren können, was passiert ist. Zum technischen Versagen
hätte ich sowieso fast nichts schreiben können … selbst wenn ich
das Logbuch noch fände. Wahrscheinlich traf mich bereits beim
Eintritt in die Atmosphäre ein Stoß, der mir das Bewusstsein nahm.
Vielleicht hat mir genau das das Leben gerettet. Jedenfalls weiß ich
nicht, was die anderen unternommen haben, bin aber sicher, dass sie
nicht mehr am Leben sind. Mindestens einer von ihnen hat mich
offenbar gerettet. Bei den ersten Bildern in meiner Erinnerung renne
ich wie ein Wahnsinniger. Mein Raumanzug steht in Flammen und die
Hitze dringt durch und im Laufen versuche ich, ihn auszuziehen, das
Feuer abzustreifen. Wie ich auf die Idee kam, hinter mir gäbe es
gleich eine Explosion und ich würde nur überleben, wenn ich dann
weit genug weg wäre, weiß ich nicht. Auf keinem dieser
Erinnerungsbilder trägt oder stützt mich jemand, aber allein kann
ich eigentlich nicht aus dem Raumschiff herausgekommen sein. Ich habe
ja gerade erst entdeckt, dass das Raumschiff nicht im Orbit geblieben
ist, also keine Landekapsel eingesetzt worden ist. Alle heimlichen
Hoffnungen auf schnelle Rettung vom Schiff im Orbit waren also von
Anfang an unbegründet. Ich bin doch nur ein Mensch mit Hoffnung bis
zum Schluss, auch wenn es unwahrscheinlich ist, dass man noch nach
uns sucht und wenigstens andere Erkunder so rechtzeitig auf diesen
Planeten stoßen, dass diese Aufzeichnungen noch gelesen werden
können. Ich weiß ja nicht einmal, ob meine Sprache wirklich
aufgezeichnet wird, weil die Wiedergabe nicht funktioniert. Der
kleine Monitor zeigt Kurven, als sei alles in Ordnung. Sonst ist fast
alles zertrümmert. Die Wunderwerke menschlicher Technik sind
Schrott, vor allem Elektronikschrott. Vielleicht finden mich gleich
die Schla. Und vielleicht vernichten sie dann alle meine Spuren, weil
sie die künftige Harmonie ihrer Gemeinschaft stören könnten. Das
wär's dann gewesen.
Dabei
…
Wäre
es nicht so unwahrscheinlich … Also ich bin über eine Wiese
gerannt. Hinter mir eine Explosion. Wahnsinnige Schmerzen, als ob ich
bis auf die Knochen glühen würde. Im ununterbrochenen Rennen,
Stolpern, Hinfallen, wieder Aufstehen, Rennen muss ich mir den
Schutzanzug heruntergerissen haben und die Unterkleidung gleich mit.
Es fühlte sich an, als schälte ich mir die eigene Haut ab.
Vielleicht bin ich auch danach noch weitergelaufen. Aber vor
schreiendem Schmerz verlor ich wieder das Bewusstsein.
Dann
war da die Vorstellung, ich sei ein Fisch mit glühenden Schuppen,
versunken in Schmerz. Riesige Facettenaugen, die mich anstarrten,
mich nach etwas zu fragen schienen, wovor mich die immer wieder
schnell einsetzende Bewusstlosigkeit schützte.
Irgendwann
hatte ich endlich das Gefühl, ich wachte aus diesen Albträumen auf.
Ich merkte, ich lag weich und hatte wirklich geschlafen und nun war
es Zeit, richtig aufzuwachen.
Angst.
Nur nicht die Augen öffnen. Warum nur war ich so sicher, ich wäre
erblindet? Diese Blitze, die Hitze, das war so furchtbar echt. Und
etwas stimmte mit meiner Haut nicht. Sie juckte etwas und … sie
musste verbrannt sein! Noch immer mit fest geschlossenen Augen begann
ich Finger zu bewegen, die Füße, die Arme, die Knie anzuwinkeln.
Hatte ich vielleicht alles nur geträumt? Keine der Bewegungen
bereitete mir Schmerzen. Es war nur komisch an der Haut. Als wäre
ich in ein Nachthemd aus Seilen eingewickelt.
In
diesem Moment drangen Lichtstrahlen durch die geschlossenen Lider.
Ganz kurz nur. Danach hatte ich den Eindruck, es wäre jemand neben
mir. Genauer, es schienen zwei Jemande zu sein. Warum schwiegen sie
mich an? Ich würde den Augenblick nicht endlos dehnen können und
die Augen öffnen müssen.
Tat
es und schloss sie sofort wieder. Mich begafften keine Menschen. Das
waren … Menschenähnliche? Sagte man so? Ich sah zwei Köpfe vor
mir, also eigentlich die Gesichter. Wenn ich mich nicht täuschte,
dann standen zwei Wesen neben mir im Raum, beide insgesamt deutlich
kleiner und zierlicher als Menschen. Ihre Köpfe aber …
Ich
blinzelte, hoffentlich unauffällig. Das Gesicht unmittelbar vor mir
konnte sogar das eines Mädchens sein. Zumindest hatten die Züge
etwas Weiches. Es war im Prinzip alles da, was auch in einem
Menschengesicht zu finden gewesen wäre. Nur war alles etwas zu groß
geraten und wurde beherrscht von eben jenen Facettenaugen, die mir im
Albtraum begegnet waren. Dagegen wären Froschaugen als schön
durchgegangen. Wie kam ich eigentlich auf Facetten? Sicher war nur,
dass sie nichts Menschlich-Schönes an sich hatten.
Dann
kam der nächste Schock. Jenes Wesen, das ich für ein Mädchen
hielt, gab Geräusche von sich. Es klang wie ein an- und
abschwellendes Summen. Ich glaubte, lauter Ens und Ems
aneinandergefügt zu hören. Das weiter hinten sitzende Wesen summte
dem Mädchen etwas zu, woraufhin es noch betonter modulierte. Und
endlich begriff ich: Das Mädchen hatte gesprochen und sprach schon
wieder! In einer Sprache, die ich verstand! Nur mit einem extrem
fremden Klang. „Ich bin Wroohn. Du brauchst dich nicht zu fürchten.
Wir Schla meinen es gut mit dir. Der See gab dir dein Leben wieder.“
Als
sie noch einmal mit diesen Sätzen von vorn begann, murmelte ich:
„Ich verstehe dich. Ich bin Jonathan, John, ein Mensch. Danke!“
Aber ich begriff nicht, wieso ich einfach so eine fremde Sprache
beherrschte. Dass es nicht meine auf der Erde gelernte, sondern die
hiesige war, war mir bewusst. Es war beängstigend: Ich konnte sie
nicht verstehen können!
So
wurde ich aufgenommen in die Gemeinde der Schla, wurde einer der
ihren.
Das
Schwerste war die Gewöhnung an ihre allgegenwärtige Hässlichkeit.
Den zweiten Schla bekam ich zwar auch oft zu Gesicht. Die häufigste
Kontaktperson der Schla aber war für mich diese Wroohn. Im Laufe der
Zeit begriff ich, dass sie in einem Alter war, in dem die
Gemeinschaft den Einzelnen ihre Partnerschaften empfahl. Bei mir sah
diese Gemeinschaft eine besonders schwierige Partnerschaft voraus.
Also hatte man der sehr einfühlsamen Wroohn nahegelegt, sich um mich
zu kümmern. Ich mochte es kaum glauben, dass das Mädchen mich schon
mehrere Wochen lang gepflegt hatte, dass sie mit jeder Kleinigkeit
meines Körperbaus vertraut war. Nun, da ich zwar noch extrem
schwach, aber schon ein munterer Mann war, dem dies leicht anzusehen
und zu begreifen war, kam eine Veränderung hinzu. Es schien dem
Mädchen großen Spaß zu bereiten, mich zu waschen und dabei eben
jene Veränderung hervorzurufen. Als ich ihr erläuterte, dass dies
das körperliche Zeichen zur Bereitschaft sei, sich mit einem
weiblichen Wesen zu vereinen, stutzte sie. „Und das Zeichen kommt
immer so schnell und so oft?“ „Wenn du so handfest damit umgehst,
ja ...“ Da lachte sie und erklärte mir, dass die Schla-Männer
eines bestimmten Duftreizes bedurften, der von den Frauen aber nur an
wenigen Tagen ausginge.
Wir
waren eine seltsame Partnerschaft. Dafür, dass ich mich schämte,
wenn ich ihr so ausgeliefert war, ihren Blicken und ihrem Zugriff,
hatte Wroohn keinen Draht. Und ich wagte keine Andeutung. Immer
fürchtete ich, sie könnte mir anmerken, wie viel Abscheu ihr
Äußeres als Schla-Mädchen bei mir weckte. Insofern war ich meiner
Jugend dankbar, dass der Körper Wroohns zugreifende Reize so
sichtbar positiv quittierte. Es war, als ob ich ihr laufend sagte,
ich mag dich, und das Mädchen ahnte die Lüge - oder sagen wir das
Einseitige - an dieser Äußerung nicht. ...
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