Als
sie in den Hörsaal gedrängt wurde, kam ihr, zum wievielten Mal
schon, der Gedanke, sie sollte ihre Haare färben. Es war doch die
natürlichste Sache der Welt. Ihre rötlichen Haare hoben sie aus der
Masse heraus. Und genau das wollte sie nicht. Janara musste
aufpassen, um nicht abgedrängt zu werden. Nein. Myra hielt zwei
Plätze frei. Ganz oben. Für Peggy und sie. Mit Myra war jede
Veranstaltung ein Erlebnis. Die fand immer etwas dazwischenzureden.
Das lenkte ab. Aber die Semesterarbeit musste wenigstens ein
„befriedigend“ bringen. Dann bekam sie die Anwesenheit für das
Fach „Psychologische Probleme extraterrestrischer
Lebensentwicklung“ bescheinigt. Mehr wollte Janara eigentlich
nicht. Um im kommenden Jahr an einem College zu studieren, brauchte
sie neben dem Notendurchschnitt, der kein Problem für sie war, den
Beweis für ein thematisch breit entwickeltes Interesse. Möglichst
viele Nebenfächer. Je mehr, umso besser. Extraterrestrische
Lebensentwicklung interessierte sie nicht wirklich. Aber viele der
Mitschüler fanden es schick. Da hatte sie die größte Chance,
nachher noch ein paar Gedankengänge mit anderen zu vergleichen. Und
diese Lesung war auf jeden Fall etwas Außergewöhnliches – nicht
nur Myras Kommentare wegen. Da ließ sich ein Dozent der Akademie
zweimal im Jahr für die Schüler ihrer unbedeutenden Kleinstadt dazu
herab, vier Stunden Vortrag zu halten. Weil er hier geboren und
tatsächlich schon im All gewesen war. Na, vielleicht hoffte er, so
schneller einen eigenen Lehrstuhl zu bekommen.
Von
ihren Plätzen hatten die Mädchen eine gute Übersicht. Janara
versuchte, dieses unsinnige Gefühl wegzudrücken, gleich ginge eine
Prüfung los. So also sah ein echter “altehrwürdiger” Hörsaal
aus. Kein Computerkabinett mit Simultanarbeitsplätzen, sondern ein
riesiger Raum mit Bänken, die aufsteigend angeordnet waren. Von den
schätzungsweise 400 Sitzen waren inzwischen etwa 300 belegt und noch
immer spuckten die beiden Doppeltüren schubsende Schüler in den
Saal. Eigentlich war das eine ideale Gelegenheit. Wann konnte man
sonst schon die Jungen beobachten, ohne dass die sich wie alberne
Gockel benahmen,- HAST DU ABER SCHÖNE BLAUE AUGEN! Janara
hätte es für ein gelungenes Kompliment gehalten, sich zumindest
darüber gefreut, wenn es nicht so verdammt abgeschmackt und
abgenutzt geklungen hätte. Diese Augen waren neben jenen
rötlichen Haaren das auffälligste Erbstück von ihrer Mutter und
die war auch jetzt noch eine aufregende Frau. Was andere Mädchen mit
extra eingesetzten Haftschalen zu imitieren versuchten, war bei
Janara Natur: Ihre Iris gab im Normalfall einen ungewöhnlich breiten
Kreis hellblau leuchtenden Himmels preis. Aber wahrscheinlich hielten
es eben alle für künstlich. Es war so “in”, dass Janara schon
an grüne Haftschalen gedacht hatte. Die passten auch zu ihren
Haaren.
Noch
drei Minuten. Jener legendäre George Buckinns stand schon vorn neben
dem Pult. Offensichtlich nervös spielte er am Beamer herum.
Wunderbar: Der würde also Zusammenfassung und Struktur des Vortrags
an die Wand werfen. Janara brauchte nur Fotos zu machen und sich ein
paar spezielle Ausdrücke des Dozenten zu notieren.
Eigentlich
war der Typ … Janara hätte nicht sagen können, was sie von dem
Mann halten sollte. Irgendwie … Fast glaubte sie, schon einmal von
ihm geträumt zu haben, und eine entsprechende Bemerkung lag ihr
bereits auf den Lippen, aber in Gedanken hörte sie Myras abfällige
Antwort “Der und Traummann? Nun übertreib mal nicht!” Janara
schüttelte unmerklich den Kopf. Sie wusste, sie hätte geantwortet,
antworten müssen, dass sie es ja nicht so meine. Aber wie dann?
Besser, sie ließ sich nichts anmerken.
Für
einen, der schon eine Interstellarreise und erste Jahre an der
Raumakademie hinter sich hatte, sah er extrem jung aus. Anfang 40
vielleicht. Jünger als Dad. Das war wahrscheinlich den
Kälteschlafphasen geschuldet, die er durchlaufen hatte. Er hatte
seinen Flug zu einer Zeit angetreten, als die Astronauten zum ersten
Mal ihre Schlafsärge im Wechsel selbst einstellen durften. Sieben
Frauen, sieben Männer. Keine Paare am Anfang. Ob sie sich fanden,
ergab sich erst in der Gemeinschaft des Fluges. Zufälle. Denn sie
hatten sich geeinigt, dass immer nur zwei bis drei
Besatzungsmitglieder den irdischen Wechsel von Tag und Nacht
simulierten, den Flug überwachten. Es konnte also Jahre dauern, bis
die eine den oder die anderen fand, die besonders mit ihr
harmonierten. Dass das Team theoretisch gut harmonieren würde,
hatten Tests an dafür entworfenen Geräten ihnen bescheinigt. Man
hatte sie auf eine Reise von etwa 20 Jahren im Wachzustand und einen
allgemeinen 100jährigen „Dornröschenschlaf“ eingestimmt. Da
gehörte es zum Programm, sich gegenseitig zu testen, zu
harmonisieren oder zu verwerfen. Es konnte ja sein, dass sonst
absolut nichts als Routinen abgearbeitet werden konnten, die auch
Automaten hätten bewältigen können. Ihr Hauptziel war es, das
Programm zur automatischen Erkennung von Lebensformen zu testen. Was
nutzten denn Sonden, deren Untersuchungsprogramme unter Umständen
einen Mangel enthielten, so dass sie entweder lauter Zivilisationen
meldeten oder an Planeten vorbeiflogen, die vielleicht eine zweite
Erde waren oder werden konnten? Sicher konnte man nur sein, wenn man
die Untersuchungsergebnisse vor Ort verglich. Aber die Entfernung von
einem Untersuchungsobjekt bis zum nächsten sei eben astronomisch ...
Eigentlich
erzählte er ganz interessant. Er schien auch nicht so ein
ichbezogener Schnösel zu sein. Seine Vorstellung hatte er auf den
Namen beschränkt und sich Spielereien um sein Alter verkniffen.
Wenn man seine Kälteschlafzeiten und die durchschnittliche
Fluggeschwindigkeit bei interstellaren Flügen mitrechnete, dann war
er wohl ein echtes lebendes Fossil.
Interessant,
ja, auch, aber … Janara hätte nicht sagen können, warum sie trotz
allem nur mit halbem Ohr auf das achtete, was der Mann vorn sprach.
Irgendetwas schien um sie herum zu knistern und sie darauf
einzustellen, dass das Wesentliche des Tages noch kommen würde ...
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