Donnerstag, 19. September 2013

Kein zurück zur Natur

Sie hassten die Nachtwachen. Und zugleich liebten sie sie. Keine Dienstzeit bot eine so große Aussicht auf ungestörtes Abhängen. Und durch die Art des Objektes war normalerweise Erholung angesagt. Natur pur. Keine Kaserne in unmittelbarer Nähe, nur eine Zufahrt. Man mochte es Verschwendung nennen, aber es gab die Hauptstraße und eben diese Versorgungsstraße. Hier näherten sich nur Militärfahrzeuge. Wenn denn was los war. Gelegentlich war vorn was los. Irgendwelche schlafwütigen Pazifisten gingen ihnen auf die Nerven. So ein Bombodrom senke den touristischen Wert der Gegend. Gerade die zurückgezogene Stille sei ihre Besonderheit. Wanderwege, Heide, Bäume, vor allem Kiefern. Dabei … sollten die Bombenabwürfe denn in Kreuzberg oder Barmbek geübt werden? Hier war die toteste Hose und hier lag schon so viel Kampfschrott, dass es auf die paar neuen Tests auch nicht mehr ankam. „Sperrgebiet!“ Die Schilder waren ja nicht zu übersehen. Was das für ein Aufwand wäre, allein die Munitionsreste zu bergen! Also machte man weiter.
Übermäßig beliebt war der Platz bei den Soldaten nicht. Aber auch das war nicht sonderlich schlimm. Hier hatte kaum einer seinen festen Standort. Gerade einmal genügend Leute, um eben abzusichern, dass keine Lebensmüden sich im Revier herumtrieben. Nur bei Übungen war was los.
Als die beiden Gefreiten Käsich und Maurer dem Ende der Nachtwache entgegensahen, war keine Übung. Normalerweise hatte der Dienst hier einen eigenen Vorzug: So viele Vorschriften es auch geben mochte, hier wurde kaum eine ernst genommen. Warum auch? Wer hätte sie kontrollieren sollen? Dafür eignete sich die Zeit zwischen tiefer Dunkelheit und Morgendämmerung zu dummen Späßen fast so gut wie zu echten Männergesprächen.

… „Du spinnst!“, knurrte gerade der eine.
Das glaub ich einfach nicht. Und wenn sie zehnmal eine solche Wette verloren hätten. Glaubst du im Ernst, du kannst mir das weiß machen? Dass Kati vor denen gestrippt hat? Nicht Kati. Und hier schon gar nicht.“
Ronny“, erwiderte der andere erregt. „wenn ich es dir doch sage! Max hat das alles ganz genau beschrieben: Fünf Schnecken aus Bünnewitz, eben auch Kati dabei, in einem Opel Astra. Immer eine nach der anderen raus. Alle in Jeansröcken. Die als Erstes runter. Dann die T-Shirts, die Schuhe, die Zwillingsmützen … alles auf einen Haufen. Max sind fast die Augen ausgefallen. Zum Schluss haben sie ihre Strings unter die Jungs geworfen. Max hat Katis erwischt. Ein Duft … Ein Duft sag ich dir …“
Ach, halt´s Maul! Wer weiß, wo er den her hatte.“
Trotzdem starrte Ron auf die leere Straße in Richtung Siedlung, als würde im nächsten Moment ein Oldtimer mit Mädchen aus dem Dämmerlicht auftauchen.
Kati, nee. Kannst erzählen, was de willst. Ich glaub das nicht. Max macht nur auf dicke Hose.“
Der Gefreite Käsich hatte sich eine Zigarette angezündet und bot Ron Feuer an. Ron sog gierig Rauch ein. Inzwischen hatten die beiden ihre Position getauscht. Ron blickte nun auf das zum Abwurfplatz gehörende Waldgebiet. Eigentlich waren die Kiefern nur schemenhaft zu erkennen.
In Rons Gesicht vollzog sich dabei eine Wandlung. Das Entspannte wich aus seinen Zügen. Konzentriert versuchte er etwas zu erkennen. Was stimmte da nur nicht? Irgendetwas an dem Bild war ungewöhnlich. Wenn es nicht so peinlich gewesen wäre, hätte er Käsich angestoßen und … damit eben eingestanden, dass in ihm gerade eine unbestimmte Unruhe zu Angst wurde. Was war das nur?
Ron drehte sich weg. Krampfhaft versuchte er, sich das Bild der verführerischen Mädchen vorzustellen. Kati, ja, die hatte er stark gefunden.
Ruckartig drehte er sich zurück. Da war es wieder. Nein, anders. Rons Finger verkrampften unbewusst um die MPi. Seinem Partner fiel das nun doch auf. „Eh, Ronny, was ist denn? Spinnst du? Siehst du Gespenster?“
So kommt mir das vor. Ja. Aber sieh doch selbst! Guck dir die Bäume an! Fällt dir nichts auf?“
Auch Käsich musterte nun die sich immer deutlicher abzeichnenden Silhouetten. „Meinst du, ...“
Ich bin doch nicht blöd! Ich hätte gewettet, die Bäume standen vorhin anders.“

Auch Käsich hielt nun seine Waffe fester. ...

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