Donnerstag, 19. September 2013

Mit dem Toaster fing es an oder Die Kraft der linken Hand

Die Geschichte der Menschheit gliedert sich für mich in zwei Phasen: die Zeit bevor und die Zeit, nachdem mein Toaster klemmte.
Wenn ich aufstand, also in der Zeit davor, tat ich immer so, als hätte ich es verdammt eilig, zur Arbeit zu kommen. Ich kämpfte die Müdigkeit mit vielen Tricks nieder und überlegte, an welchen Stellen ich Zeit sparen konnte. Besonders wichtig erschien es mir, die morgendlichen Aufgaben straff durchzuorganisieren. Im Kopf hatte ich den genauen Ablaufplan der Kleinigkeiten, welche bis zum Arbeitsbeginn zu erledigen waren. Da war das Frühstück zu bereiten, Bad und Toilette zu bewältigen, der Computer hochzufahren und so weiter. Möglichst mussten die Arbeitsgänge so angeordnet werden, dass ich nirgendwo warten musste, dass also – nur so als Beispiel – der Computer hochfuhr, während ich frühstückte, oder der Toaster seine Aufgabe erfüllte, während ich mich wusch, aber der Toast noch heiß genug war, wenn ich ihn schmieren und essen konnte.
Entscheidend war, dass ich an jenem Morgen zum Frühstück wieder einmal Toastbrot beschmieren wollte. Dazu musste ich die Scheiben natürlich zuerst toasten. Wie gesagt: Das Warten auf den Toaster war einer jener Zeiträume, in denen ich anderes Nützliches erledigte. Ich schob also zwei Scheiben in den Apparat und eine legte ich quer darüber, um die Restwärme auszunutzen. Wie immer war eine kurze Toastzeit eingestellt. In dem Moment, in dem ich den Schalter nach unten drückte, war ich gedanklich bereits im Büro beim Computer, der in aller Ruhe hochfahren sollte. Ich lief ins Wohnzimmer, drückte ON und ging ins Bad. Es war immer ein wunderbares Gefühl, wenn ich beim Frischmachen wusste, dass zur selben Zeit mehrere Geräte etwas für mich schafften. Dieses Gefühl wurde an jenem Morgen aber durch ein anderes gestört: Ohne dass dies zu erwarten gewesen wäre, vertrieb ein kräftiges Aroma von frisch Verbranntem alle anderen Gerüche.
Bereits in der Tür zum Korridor begrüßte mich Rauch. Als ich jedoch – nun schon stärker beunruhigt – die Küchentür geöffnet hatte, stand ich plötzlich in undurchdringlichem Qualm. Hätte ich ausgerechnet da an die Weltgeschichte denken sollen, nur weil ich das sonst fast immer tat? Ich tat es jedenfalls nicht. Fast gleichzeitig riss ich den Stecker aus der Dose, packte mit einem Tuch den Toaster, schleuderte ihn in die Spüle (ein braunes Muster ist immer noch zu sehen), befeuchtete das Tuch und mit dem Tuch die schwelende Tapete, schob den Blumentopf vom Fensterbrett, riss das Fenster auf, rannte ins Wohnzimmer, riss auch dort das Fenster auf, begann tief einzuatmen … und als ich darüber nachdachte, was ich frühstücken könnte und dass ich glücklicherweise noch einen halben Eimer Restfarbe vom letzten Küchenanstrich im Keller hatte, interessierten mich Datum oder Weltgeschichte immer noch nicht. Eher, ob ich eine Rauchvergiftung haben könnte, und wie lange der Gestank in der Wohnung bleiben würde. Ob mir im Ablauf der sich überschlagenden Ereignisse ein Stück Film fehlen könnte, ich vielleicht einen elektrischen Schlag bekommen und es geblitzt hatte oder Ähnliches, weiß ich nicht mehr. Heute bilde mir das ein, aber wahrscheinlich habe ich mir das nachher dazugedacht. Eben, weil es so wahrscheinlich ist … Aber um ganz ehrlich zu bleiben: An den alles entscheidenden Punkt – und den muss es gegeben haben – kann ich mich nicht erinnern. Ich setzte den Tag fast normal fort … also soweit eine Wohnung voller Restrauch normal ist.
Dann aber besuchte mich mein Sohn. Er beklagte sich wie immer über seine Probleme beim Studium und ich wies ihn darauf hin, dass das alles viel leichter zu ertragen wäre, wenn er denn endlich eine zu ihm passende Freundin fände (es stellte sich heraus, dass sein „Studienproblem“ in einer bestand, die ihn gerade hatte abblitzen lassen) und er würde das schon packen. Ein Gespräch unter Männern also, und es war nur ganz natürlich, dass ich ihm väterlich ermunternd auf die Schultern klopfte. Erst viel später wurde mir bewusst, dass ich mit der linken Hand zugeschlagen hatte.
Man stelle sich meine Verblüffung vor, als mir mein Sohn vielleicht eine halbe Stunde später ohne Vorwarnung erklärte, er habe sich das genau überlegt und er habe beschlossen, er würde Kommunist. Wörtlich genau dies!
Bis zu diesem Augenblick war die einzige politische Rolle, für die er sich je interessiert hatte, die des Magiers in „World of Warcraft“. Selbst ich hatte ihn im Unterschied zu den meisten anderen Menschen, mit denen ich zu tun gehabt hatte, nicht mit Politischem belästigt. Wissen quält und über die Leser der BLÖD-Zeitung hätte Jesus sicher gesagt, dass glücklich sei, wer da arm ist am Geiste. Warum also sollte ich meinem Sohn nicht ein Stück Glück gönnen – noch dazu, wo er mir an fast allen Tagen des Jahres fern war und ich ihn deshalb nie hätte beschützen können? Irgendwann hatte ich es aufgegeben, ihn zu belehren – er war eben anders als ich.

Und nun begann er mir einen Vortrag zu halten! Ich neigte ja schon immer dazu, andere penetrant bekehren zu wollen. Dass das jemand mit fast exakt meinen eigenen Worten bei mir versuchte, war mir bisher aber noch nicht passiert. ... 

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